27.06.–28.06.2008: Pressure Festival - Herne - Gysenberghalle [2008]

28.06.2008
 

 


Das Pressure Fest – diesmal unter dem Banner "The Hardcore Grand Slam" firmierend – ist schon eine faszinierende Angelegenheit. Als Kulturpessimist könnte man die Veranstaltung ohne schlechtes Gewissen als den finalen Sargnagel für die großen Unity-Erzählungen im Hardcore abqualifizieren, da es vor der Bühne in der Hauptsache wohl um die eigene Performance, die rücksichtslosesten Verrenkungen geht. Auf der anderen Seite: Wer (außer dem naivsten Szenebeobachter vielleicht) hat jemals an jene Erzählungen geglaubt?! Geboten wird in Herne somit wieder einmal ein nicht repräsentativer Querschnitt durch die eher physischeren Spielarten des Hardcore, samt prägnanter Charaktere. Er: Im Pit mit Psychoblick und Mundschutz (!!!). Sie: Auf den starken Schultern ihres Freundes mit grimmigem Gesichtsausdruck Löcher in die Luft schlagend. Das Publikum ist zu großen Teilen gänzlich auf Moshparts konditioniert, die es aufgrund des nicht wirklich vielfältigen Line-Ups dann auch zu Genüge geben wird. Ohne Übertreibung lassen sich Passagen der zwei Tage (aus privaten Gründen entfiel der Sonntag für den Verfasser) mit jener (leicht abgewandelten) BLOOD FOR BLOOD T-Shirt-Sentenz charakterisieren: „Ich war auf einer Massenschlägerei und plötzlich fing das Pressure Fest an“. Der soundtrack for violence für´s Wochende. Entgegen der Erwartungen ist die Gysenberghalle im Übrigen sehr gut gefüllt. Die Überbrückungsmusik in Form von REFUSED mutet in diesem Kontext dann allerdings doch ein wenig ironisch an.

Freitag

Bei 50 LIONS aus Australien geht es vor der Bühne noch sehr gesittet zu. Die Kräfte wollen wohl für später gespart werden. Erwartungsgemäß hat es die Band somit nicht wirklich leicht, mit ihrem leicht metallischen Hardcore Bewegung in den Mob zu bringen. Ein Manko, welches sich wie ein roter Faden durch das Festival ziehen wird, ist der Mangel an Kommunikation mit dem Publikum. Natürlich sind die Spielzeiten der einzelnen Bands sehr knapp bemessen, dennoch täte es gut, auch mal etwas mehr als die obligatorischen Hinweise auf das Merchandise (das gilt für einen der Großteil der Bands) zu hören. Wo es Mesh-Shorts und Schlagring-Shirts zu erwerben gibt, wissen die anwesenden Leute augenscheinlich sehr wohl.

Mit ihrem an altem NYHC geschulten Sound warten BITTER END auf. Trotz der obligatorischen, leicht scheppernden Gysenberg-Akkustik liefern die Texaner ein druckvolles Set ab. Mit u.a. 'Climate of Fear', 'Phantoms', 'Vigilance' und 'Nothing Remains' berücksichtigen BITTER END primär das Material ihrer "Climate of Fear"-LP. Vielleicht nicht der ganz große Wurf des Festivals, dennoch nicht so betont aufgesetzt-aggressiv wie viele der darauffolgenden Bands.

Während des Sets von 50 CALIBER steigt die Anzahl plötzlich durchdrehender Pit-Amokläufer erwartungsgemäß drastisch an. Unbedarfte, zu nahe am Pit stehende Zuschauer („zu nah am Pit“ relativiert sich im weiteren Verlauf des Festivals) werden per Kopframme niedergestreckt, die ersten klatschenden Schläge landen (beabsichtigt oder nicht) im Gesicht und an Hinterköpfen. Es wird zunehmend ungemütlicher. Für die Band aus dem LBU-Umfeld muss das ein Heidenspaß sein: Trotz minimalen musikalischen Fertigkeiten eine so große Sauerei anzurichten.

Bei MELTDOWN kehrt ein wenig mehr Ruhe ein. Der Sänger scheint seine ARKANGEL-Regenjacke so lieb zu haben, dass er sie das gesamte Set über nicht auszieht, er dirigiert brav Circle-Pits und scheint im Verbund mit seinen Mitmusikern aufgrund der Komplexität (im Vergleich zu 50 CALIBER) des dargebotenen Materials eher zu verwirren. Galoppierendes Schlagzeug, Soli und SLAYER-ähnlich Passagen geben sich die Klinke in die ge-xte Hand, scheinen jedoch nur Teile des Publikums überzeugen zu können. Worauf letzteres wartet, wird im Anschluss sehr schmerzhaft bewusst:

NASTY. Techno-Intro und Beatdownparts, die nach hinten raus immer laaaaaagsamer werden. Mehr braucht es nicht, um entkernte Gehirne in Bewegung zu versetzen. Mal im Ernst: Einige Besucher haben anscheinend das berühmt berüchtigte „Mikrophon-Schlagring getaucht in Blut“-Cover ein wenig zu sehr verinnerlicht und es besonders auf jene Teile des Publikums abgesehen, die sich partout nicht bewegen wollen. Eingekeilt zwischen zwei kompletten Amok-Pits steht es sich jedenfalls recht unentspannt. Die Performance?! Irgendwie befindet der Verfasser dieses Berichts die Band für nicht mal annähernd so hart, wie diese es wohl gerne hätte. Das wirkt alles ein wenig überzogen-tough…

DEATH BEFORE DISHONOR liefern dann schon eher das, was im Pressure-Kontext als „klassisches Hardcore-Set“ durchgeht. Was eingängige, nichtsdestotrotz durchschlagende (tschuldigung…) Hardcore-Hymnen angeht, macht den Bostonern an diesem Freitag jedenfalls keine Band etwas vor. 'Curl Up And Die', 'Nowhere To Run', 'Count Me In' und 'Friends.Family.Forever' sind mit Sicherheit ebenfalls keine Posi-Hymnen, bedienen ebenfalls die gängigen Klischees, dennoch wirkt das Auftreten der Band authentischer.

THROWDOWN wiederum haben ihre Songauswahl der Veranstaltung bestens angepasst. Die musikalische Verbeugung vor den 'Cowboys From Hell' wird durch ein 'Vulgar Display of Power' des älteren Materials substituiert: 'Never Back Down', 'Forever', 'Vendetta' und 'Unite' sorgen für ausgelassene Bewegung und zerlegen beinahe umstehende Merchandise-Stände. Überraschungen sind während des Auftritts der Band ebenfalls Mangelware. Professionell und sauber aufeinander eingespielt agiert die Band natürlich nichtsdestotrotz.

BLEEDING THROUGH sind als Headliner des ersten Tages gewissermaßen die Pop-Band des Pressure. Sänger Brendan entschuldigt sich während des Sets gar dafür, dass die Band nicht ganz so „tough“ sei mit ihren gesungenen Refrains und der überschaubaren Anzahl an Moshparts. Bewegungsintensiv ist die Performance auf und vor der Bühne dennoch. Schließlich hat besagter Sänger den Anwesenden auch angedroht ihre Zelte zu plündern und abzureißen, falls sie sich nicht wenigstens ein bisschen bewegten.

Samstag

Während von DIRTY MONEY lediglich die Schluß-Akkorde vernommen werden, sorgen LION OF JUDAH für gähnende Leere vor der Bühne. Eigentlich schade, da die Band zumindest ein wenig Kontrastprogramm bieten kann. Ganz in der Tradition legendärer DC-Bands stehend, gibt es latent spiritistisch angehauchten Hardcore, der um seine Wurzeln weiß und sich auch soundtechnisch positiv von anderen Bands abzuheben vermag. Zwar wirkt der Frontmann phasenweise ein wenig schläfrig, trotzdem hat das Set definitiv seine Momente. Vegane Sandwiches schmecken halt auch ohne die extra Portion Testosteron gar nicht mal so schlecht.

Letztgenanntes kann während der Sets von CDC, BUN DEM OUT und THE BOSS (etwas gemäßigter) in rauen Mengen aus der Luft geschnitten werden. Vor allem CDC sind wieder ein Paradebeispiel dafür, dass die simpelsten Breakdowns während des Pressure Fests die effektivsten sind. Unglaublich, wie viele Menschen dem Auftritt der Band aus Pennsylvania scheinbar entgegenfiebert haben. Löblich jedenfalls die Respektbekundung des Sängers (der auffällig viel erzählt) für H20. Interessanter machen die den Auftritt dennoch nicht. Eine Menge Besucher kämpfen sich dessen ungeachtet in einen wahren Rausch.

THE BOSS haben mit ihrer NWA-Referenz zumindest eines der Shirtdesigns am Start, welches am meisten Grund zum Schmunzeln gibt. Der gefühlte dreißigste Aufguss betont toughen Hardcores ohne wirkliche Höhepunkte sorgt allerdings bestenfalls für ein unmotiviertes Gähnen – sofern man sich nicht in unmittelbarer Nähe des Pits befindet. Der ist bei BUN DEM OUT wieder allgegenwärtig, was ein entspanntes Zuschauen quasi unmöglich macht. So langsam drängt sich dem Verfasser die Frage auf, ob ein vom Band laufender Moshpart in Endlosschleife nicht auch ausreichen würde, die Menge in Ekstase zu versetzen.

Die nach eigenem Bekunden leichter gewordenen (der neue Drummer macht´s möglich) SETTLE THE SCORE sind fester Bestandteil der Pressure-Historie. Außerdem verfügen sie im Gegensatz zu vielen anderen Bands über (eine besondere Form von) Humor. So wird der Circle-Pit des letzten Jahres kurzerhand getoppt, indem bewegunslustige Zuschauer nicht um das Mischpult geschickt, sondern direkt aus der Halle befördert werden. Die netten Herren am Eingang werden ob der herannahenden Herde jedenfalls nicht schlecht gestaunt haben. Für das Kind im Tough Guy werden während des Sets aufblasbare Baseballschläger verteilt. Schon beeindruckend, dieses Meer aus schwarzgelben Basies mit Smileys, das auf Köpfe strahlender Pit-Söldner niedersaust. Das Gimmick-Set des Wochenendes.

SIX FT. DITCH und KNUCKLEDUST lassen jedoch wieder altbekannte Pit-Muster aufbrechen. Für konstantes Stirnrunzeln sorgt lediglich die Ansage des KNUCKLEDUST-Shouters bezüglich 'positivity'.

Die für einen exklusiven Gig eingeflogenen COLD WORLD sind die wohl unumstrittenen Abräumer in Sachen Merchandise-Verkäufe. Ein schlauer Mensch hatte der Band wohl im Vorfeld geflüstert, dass sich Mesh-Shorts auf dem Pressure besonders gut verkaufen würden. Sind COLD WORLD eine Hype-Band?! Fakt ist: Die Jungs aus Wilkes Barre mit Affinität zu Hip Hop, BIOHAZARD, LIFE OF AGONY und Lockin´Out-Groove haben mit "Ice Grillz" und vor allem dem kommenden Longplayer, verdammt starkes Material in der Hinterhand. Die Songauswahl konzentriert sich natürlich eher auf erstgenanntes Werk, wobei 'Refuse To Lose', 'Can It Be So Simple', und 'Low Places' für stattliche Pile-Ons sorgen. Gitarrist und Sänger Alex Russin bringt die frappierend an Evan Seinfeld erinnernden melodischen Passagen gekonnt rüber und trotz einiger Sounddefizite dürfte dieser Auftritt zu einem DER Höhepunkte des Wochenendes gehören. COLD WORLD haben ihre Nische im modernen Hardcore-Dickicht scheinbar gefunden.

Ihre Nische behauptet haben unlängst H20 mit ihrem aktuellen Werk. Der Auftritt auf dem Pressure sollte für die mittlerweile legendären melodischen New Yorker ebenfalls zu einem Triumphzug werden. Zwar wirkt Frontmann Tobi Morse ein wenig zersaust, als er mit seinen Mitstreitern die Bühne entert, von Müdigkeit kann allerdings keine Rede sein. Ein bunter Querschnitt durch fast alle Schaffensphasen ("Go!" wurde geflissentlich ausgelassen) wird dargeboten und es fällt auf, dass H20s Backkatalog fast ausschließlich aus Hits besteht: 'Everready', 'I Know Why', 'Liberate', 'I See It In Us', 'Thicker Than Water', 'Spirit of '84', 'One Life, One Chance' ergänzt durch die Hits des aktuellen Werkes sorgen für euphorisch-positive (!!!) Stimmung, wobei sich Herr Morse Seitenhiebe auf betont aggressives Tanzen nicht verkneifen kann. Der Platz unmittelbar vor der Bühne ist selbstredend für die Fingerpointer-Fraktion reserviert, die entsprechend häufig zum Einsatz kommen darf. Inwiefern sich H20 von in ihren Songs angeprangertem Szeneuniformismus frei machen können, sei mal dahingestellt. Vor allem im direkten Vergleich mit anderen Acts des Wochenendes wirken sie dennoch unglaublich sympathisch, bodenständig und keinesfalls antiquiert. '5. Yr. Plan' sorgt auch nach mittlerweile zwölf Jahren noch für gehörige Gänsehaut.

Galeries:

Freitag:
Bleeding Through - Pressure 2008 -Herne (27.06.2008)
Throwdown - Pressure 2008 -Herne (27.06.2008)
Death Before Dishonor - Pressure 2008 -Herne (27.06.2008)
Do Or Die - Pressure 2008 -Herne (27.06.2008)
Nasty - Pressure 2008 -Herne (27.06.2008)
Meltdown - Pressure 2008 -Herne (27.06.2008)
50 Caliber - Pressure 2008 -Herne (27.06.2008)

Bitter End - Pressure 2008 -Herne (27.06.2008)


Samstag:

H2O - Pressure 2008 - Herne (28.06.2008)
Cold World - Pressure 2008 - Herne (28.06.2008)
Knuckledust - Pressure 2008 - Herne (28.06.2008)
Six Ft. Ditch - Pressure 2008 - Herne (28.06.2008)
Settle The Score - Pressure 2008 - Herne (28.06.2008)
The Boss - Pressure 2008 - Herne (28.06.2008)
CDC - Pressure 2008 - Herne (28.06.2008)
Lion Of Judah - Pressure 2008 - Herne (28.06.2008)